Ladeinfrastruktur nach 2025/2030: Szenarien für den Markthochlauf
Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur
Zusammenfassung – Der Klimawandel zählt zu den größten Herausforderungen in der Geschichte der Menschheit. Der Elektrifizierung des motorisierten Individualverkehrs im Verkehrssektor kommt eine Schlüsselrolle zu, um die Klimaziele zu erreichen. Diese Umstellung ist in Deutschland und auch weltweit bereits in vollem Gange und
führt zu dem wohl größten Wandel im Verkehr seit der Einführung des Verbrennungsmotors.
Um der steigenden Zahl von E-Pkw gerecht zu werden, bedarf es einer flächendeckenden, bedarfsgerechten und nutzerfreundlichen Ladeinfrastruktur. Diese darf nicht erst parallel zum Markthochlauf der E-Pkw
aufgebaut werden, sondern muss vorauslaufend entstehen, um den Fahrerinnen und Fahrern die für den
Umstieg nötige Verlässlichkeit bieten zu können. Für den zielgerichteten Ausbau der Ladeinfrastruktur ist
eine methodisch fundierte Bedarfsplanung unabdingbar.
Die Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur (Leitstelle) unter dem Dach der NOW GmbH hat im Jahr 2020
die vom Reiner Lemoine Institut (RLI) im Auftrag des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV)
angefertigte Studie „Ladeinfrastruktur nach 2025/2030: Szenarien für den Markthochlauf“ veröffentlicht.
Im Fokus der Untersuchung stand der Ladebedarf im öffentlichen Raum.
Die Entwicklung im Bereich Elektromobilität und Ladeinfrastruktur ist und bleibt hochdynamisch. Deshalb
wurde bereits bei der Konzeptionierung der ursprünglichen Studie die Möglichkeit für eine Neuauflage
vorgesehen, die mit der vorliegenden Studie umgesetzt wird. Die Neuauflage der Studie umfasst sowohl
die heute wesentlich bessere Datenlage, z.B. hinsichtlich der zukünftigen Verfügbarkeit nicht öffentlich zugänglicher Ladeinfrastruktur, als auch das größere Wissen über die komplexen Zusammenhänge auf dem
Feld der Ladeinfrastruktur. So konnte das Simulationsmodell sinnvoll erweitert werden.
Neben der Aktualisierung und Optimierung der zugrunde liegenden Daten konnten auch Erweiterungen und
Anpassungen hinsichtlich des Fahr- und Ladeverhaltens vorgenommen werden, ohne dass der Charakter
der neuen Studie zu sehr von dem ihrer Vorgängerin abweicht. Erkenntnisse, die sich aus der Neuauflage
der Studie ergeben, sind nicht nur eine wichtige Entscheidungsgrundlage für privatwirtschaftliche Aktivitäten, sondern spielen auch für den Stromnetzausbau, die Erstellung lokaler Masterpläne in den Landkreisen
und Kommunen sowie das regionale Ausbaumonitoring der Bundesregierung für ganz Deutschland eine
wichtige Rolle.
Grundlage für die Aktualisierung der Studie sind reale Daten zum Mobilitätsverhalten in Deutschland. Es
wurde der Ladebedarf für sieben verschiedene Anwendungsfälle (sog. Lade-Use-Cases) untersucht. Um
Auswirkungen bestimmter Entwicklungen besser abschätzen zu können, wurden ein Referenzszenario und
vier weitere Szenarien definiert und untersucht. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der
tatsächliche Bedarf an Ladeinfrastruktur in Deutschland von vielen Faktoren abhängt, deren Entwicklung
nicht sicher vorhersehbar ist.
Die zentralen Ergebnisse der Studie umfassen verschiedene Aspekte des Ladeinfrastrukturbedarfs in
Deutschland. Neben der Anzahl der benötigten Ladepunkte sind die installierte Ladeleistung und die verladene Energiemenge Kernelemente der Untersuchung. In der Studie wurde ein Bedarf zwischen 380.000
und 680.000 öffentlich zugänglichen Ladepunkten im Jahr 2030 ermittelt. Die benötigte installierte Ladeleistung dieser Ladepunkte liegt im Jahr 2030 abhängig vom Szenario zwischen 23,3 GW und 32,4 GW.
Die in die E-Pkw verladene Menge an elektrischer Energie beziffert sich insgesamt auf 37,8 TWh – wobei
öffentlich zugängliche Ladeinfrastruktur je nach Szenario einen Anteil zwischen 36 und 50 Prozent dieser
Energie zur Verfügung stellen wird.
Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen den erheblichen Einfluss des Bestands an nicht öffentlich zugänglicher Ladeinfrastruktur, sowohl am Wohnort als auch im Unternehmen, auf den Bedarf an öffentlich zugänglicher Ladeinfrastruktur. Im Jahr 2030 zeigt sich ein Unterschied von etwa 33 Prozent im ermittelten Bedarf
an öffentlich installierter Ladeleistung zwischen einem Szenario mit hoher und einem mit geringer Verfügbarkeit nicht öffentlich zugänglicher Ladeinfrastruktur. In Bezug auf die Anzahl benötigter Ladepunkte zeigt
sich darüber hinaus eine signifikante Auswirkung von HPC-Ladeinfrastruktur. Ein stärkerer Ausbau entsprechender Ladestandorte reduziert den Gesamtbedarf an öffentlich zugänglichen Ladepunkten um etwa
26 Prozent gegenüber dem Referenzszenario. Die benötigte installierte Ladeleistung bleibt jedoch gleich.
Dennoch unterstreichen die Ergebnisse der Studie auch die wichtige Rolle von Normalladeinfrastruktur,
insbesondere im Straßenraum. Eine generelle Erhöhung der Ladeleistung explizit in diesem Lade-Use-Case führt entsprechend der Sensitivitätsanalyse zu einem kaum veränderten Bedarf an Ladepunkten. Das
Normalladen stellt demnach weiterhin einen wichtigen Baustein im Gesamtsystem der Ladeinfrastruktur
dar, insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Anteil der E-Mobilistinnen und -Mobilisten ohne Zugang
zu eigener Ladeinfrastruktur in Zukunft größer werden wird. Der Anteil derer, die auf das Parken und nächtliche Laden mit vergleichsweise geringen Ladeleistungen im öffentlichen Straßenraum angewiesen sind,
wird somit steigen.
Auch die Charakteristika der E-Pkw selbst haben einen Einfluss auf den Bedarf an öffentlich zugänglicher
Ladeinfrastruktur. Eine Verringerung des durchschnittlichen Energieverbrauchs der E-Pkw um 20 Prozent reduziert die benötigte Anzahl von öffentlich zugänglichen Ladepunkten um etwa 15 Prozent. Die Ergebnisse
der Studie zeigen insgesamt, dass der Bedarf an öffentlich zugänglicher Ladeinfrastruktur aus Perspektive
der Nutzerinnen und Nutzer über die kommenden Jahre deutlich anwachsen wird. Die ermittelten Bedarfe
liegen dabei in allen betrachteten Szenarien über den Vorgaben der Verordnung über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (AFIR), welche die Mindestziele für den Aufbau öffentlich zugänglicher
Ladeinfrastruktur auf europäischer Ebene vorgibt. Auch über das Jahr 2030 hinaus wird sich der Hochlauf
von E-Pkw weiter rasant fortsetzen und der Bedarf an ausreichender öffentlich zugänglicher Ladeinfrastruktur entsprechend steigen.