Wissenschaftskooperationen mit Globalem Süden: RLI unterstützt Kritik an BMBF, DFG und DAAD
30. Juni 2022 | 70 Wissenschaftler*innen aus verschiedenen deutschen Institutionen kritisieren gemeinsam die Praktiken und Strukturen der deutschen Forschungsförderung. Dabei geht es um die negativen Folgen für Wissenschaftskooperationen mit dem Globalen Süden. Das Reiner Lemoine Institut schließt sich der Kritik des Bündnisses an. Der bürokratische Aufwand ist unverhältnismäßig groß, rechtliche Vorgaben behindern Kooperationen und es gibt wenig Raum für innovative Ideen. Das Bündnis von Forschenden richtete seinen Appell am 27. April in einem Offenen Brief an das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD). Das RLI benennt weitere Punkte, die eine wissenschaftliche Zusammenarbeit mit Kooperationspartner*innen in Afrika, Asien, Lateinamerika und im Nahen und Mittleren Osten verbessern können.
Als Hauptproblem nennen die Unterzeichner*innen des Briefes eine Überregulierung der deutschen Forschungsförderung im Ausland und beklagen eine Ungleichbehandlung von Forschenden im Globalen Süden im Vergleich zu europäischen oder nordamerikanischen Wissenschaftler*innen. Sie fordern daher eine gemeinsame Vertrauensbasis zwischen den Förder- und Forschungsinstitutionen als Voraussetzung für eine echte Zusammenarbeit, flexiblere Forschungsformate und weniger bürokratische Zwänge.
Empfehlungen des RLI
Katrin Lammers ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im RLI-Forschungsbereich Off-Grid Systems. Sie sammelte über ihre Arbeit Erfahrungen mit Wissenschaftskooperationen im Globalen Süden und vertritt am RLI die Critical Development Cooperation (CDC) Gruppe. Diese beschäftigt sich mit der kritischen Reflektion von Entwicklungszusammenarbeit und postkolonialen Machtstrukturen im Wissenschaftsbetrieb. Katrin fasst die drei wichtigsten RLI-Empfehlungen zu diesem Thema zusammen:
- Mehr Fördermittel auch für die Projektantragsentwicklung: Die Folgen der Globalisierung und die Effekte des Klimawandels müssen auf globaler Ebene durch internationale Zusammenarbeit erforscht werden. Dafür braucht es grundsätzlich mehr Fördermittel als bislang – im Bundeshaushalt und auch in transnationalen Förderinstrumenten. Dazu gehört auch, mehr Mittel für die Anbahnung und gemeinsame Entwicklung von Projekten bereitzustellen. Nur so können Anträge in internationalen Konsortien partizipativ und kooperativ erarbeitet und nachhaltige, vertrauensvolle Partnerschaften aufgebaut werden.
Warum? Die partizipative Entwicklung von Projektanträgen ist langwierig und zeitintensiv. Sie ist im Tagesgeschäft der durchführenden Organisationen schwer zu bewältigen. Es sollte deshalb zum Standard werden, einem Forschungsprojekt mit dem Globalen Süden eine Definitionsphase oder ein Definitionsprojekt voranzustellen, dessen Durchführung ebenfalls gefördert wird. So vermeidet man auch das Machtgefälle, das die ungleiche Beteiligung direkt zu Beginn nach sich ziehen kann. - Direkte Mittelvergabe: Es braucht eine Möglichkeit zur direkten Mittelvergabe an Forschungsinstitutionen und Forscher*innen im Globalen Süden. Das fördert eine Implementierung von Projekten auf Augenhöhe.
Warum? Die Mittelverteilung nur über deutsche Institutionen kann zu einem ungleichen Machtverhältnis führen. Partner*innen im Globalen Süden ordnen sich dadurch bei der Projektentwicklung oft unter und sind gehemmt ihre eigenen Ideen einzubringen. Das kann Misstrauen hervorrufen und zu unnötig hoher Bürokratie auf beiden Seiten führen. Die Gelder werden außerdem ineffizient eingesetzt, da Projektkoordination durch deutsche Organisationen tendenziell teuer ist und die Projektbudgets unnötig erhöht. Ein weiteres Problem: Forschungsinstitutionen, die keine 100-Prozent-Förderung erhalten, müssen einen Eigenanteil beisteuern, wenn sie die Beträge internationaler Partnerorganisationen in ihren Unterauftrag nehmen. - Englisch als gleichberechtigte Arbeitssprache: Bei internationalen Projekten sollten Anträge, Berichterstattung und Evaluierungen auch in englischer Sprache möglich sein, um Vertrauen und Transparenz zu schaffen.
Warum? Die Projektanträge und -berichte müssen oft in deutscher Sprache geschrieben werden. Das verlangt einen großen Vertrauensvorschuss der Partner*innen im Globalen Süden. Sie müssen sich darauf verlassen, dass deutsche Forschungsinstitutionen die Beiträge und Arbeit aller Projektbeteiligten richtig wiedergeben. Dies schafft Abhängigkeiten, Intransparenz und trägt nicht zu Projekten auf Augenhöhe bei. Besonders ärgerlich: Wenn Dokumente doppelt und dreifach eingereicht und dabei in mehreren Sprachen verfasst werden müssen. Das ist unnötiger Aufwand. Englisch sollte daher als Sprache für alle Unterlagen festgelegt und bei deutschen Projektträgern und Förderorganisationen auch in Englisch verarbeitet werden. Außerdem erreicht man damit, dass Forscher*innen aus der ganzen Welt in Deutschland beschäftigt werden können, um in Forschungsprojekten zu arbeiten.
Der offene Brief ist hier vollständig nachzulesen.
Kontakt:
Für Fragen zu dem Thema stehen Katrin Lammers, wissenschaftliche Mitarbeiterin im RLI-Forschungsbereich Off-Grid Systems und RLI-Geschäftsführerin Kathrin Goldammer zur Verfügung.