Regionaler Stromhandel auf digitalem Marktplatz – Halbzeit bei Praxistest im Raum Euskirchen
17. Juli 2024 | Ein Konsortium unter der Leitung des Berliner Reiner Lemoine Instituts (RLI) betreibt im Rahmen des Projekts BEST seit dem Frühjahr dieses Jahres ein digitales Stromhandelssystem im Raum Euskirchen, dem Versorgungsgebiet des Praxispartners e-regio. An dem Praxistest nehmen Akteure wie Unternehmen, öffentliche Einrichtungen und private Haushalte teil. Ihr Strom wird testweise auf einem digitalen Marktplatz gehandelt. Durch den Einsatz von Open-Source-Software und Technologien wie Blockchain und Trusted Execution Environments wird Transparenz und Sicherheit für die Marktteilnehmenden sichergestellt.
Ob Photovoltaik auf der Fertigungshalle, kommunale Windkraftanlage oder Dachsolar auf dem Eigenheim – Stromerzeugung wird durch die Energiewende dezentraler. Wird in einer Region besonders viel Strom aus erneuerbaren Energien (EE) erzeugt, kann dieser am regionalen Strommarkt günstig angeboten und genau dann verbraucht werden, wenn er entsteht. Bei großflächiger Anwendung kann damit das Energiesystem stabilisiert werden, was Bedarf und Kosten für den Netzausbau reduziert und die Energiewende günstiger macht. Betriebe, öffentliche Einrichtungen und private Haushalte können finanziell von der Energiewende profitieren, indem sie den günstigen grünen Strom aus der Region automatisiert dann nutzen, wenn er erzeugt wird.
Strom regional erzeugen und verbrauchen
„Wir untersuchen, wie ein regionaler Strommarkt dem erneuerbaren Energiesystem dienen kann. Im Testgebiet werden aktuell pro Jahr circa eine Million Kilowattstunden erneuerbarer Strom erzeugt und könnten potenziell auf unserem Marktplatz gehandelt werden. Um den Markt möglichst optimal zu betreiben und größtmöglichen Nutzen für Endkund:innen zu erzielen, erproben wir den Einsatz von maschinellem Lernen und zeigen im Feldversuch, welche Aufgaben im Bereich lokaler Stromhandel und Digitalisierung noch zu lösen sind“, sagt Friederike Reisch, Leiterin des Forschungsprojekts und stellvertretende Leiterin des Forschungsbereichs Mobilität mit Erneuerbaren Energien am RLI.
Digitaler Marktplatz für Strom
Das Stromhandelssystem funktioniert auf zwei Arten: Teilnehmende können sogenannte Gemeinschaften (Pools) bilden. Erzeuger:innen und Verbraucher:innen können dann direkt und ohne Zwischenhändler untereinander Strom verkaufen beziehungsweise kaufen (peer to peer). Ein Pool kann zum Beispiel aus unterschiedlichen Standorten eines Unternehmens bestehen. Strom, der nicht so gehandelt wird, kann auf einem Marktplatz angeboten werden. Dieser funktioniert wie die deutsche Strombörse: Angebot und Nachfrage werden sortiert, viertelstündlich wird ein einheitlicher Marktpreis gebildet. Ein Energiedienstleister wie e-regio beschafft Reststrommengen, die regional nicht verfügbar sind oder verkauft überschüssigen Strom, der regional keine Verwendung findet, an der Strombörse. Damit ist die Versorgungssicherheit jederzeit sichergestellt. e-regio Geschäftsführer Stefan Dott zum Praxistest: „Im Projekt bringen wir als Praxispartner Stromerzeugung und -verbrauch auf intelligente Art zusammen. Und wir lernen aus diesem Test, wie unsere Kundinnen und Kunden zukünftig noch stärker aktiv an der Energiewende beteiligt werden können.“
Software steuert den Handel intelligent
Die Vorhersage von Stromverbrauch und -erzeugung, die Betriebssteuerung unter Berücksichtigung von individuellen Vorgaben sowie das Erstellen und Senden von Geboten übernimmt eine im Projekt entwickelte Software. Sie verwendet Algorithmen, die teilweise als Open-Source zugänglich sind und zum Projektabschluss auf der Codehosting-Plattform Github eingesehen werden können. Zur sicheren Übermittlung der abrechnungsrelevanten Daten wird auch die Anwendung von Smart Meter Gateways im Kontext des Projekts getestet.
Netzentgelte anpassen für lokalen Stromhandel
Mit dem Wandel der Stromerzeugung von Großkraftwerken zu dezentralen EE-Anlagen geht eine veränderte Nutzung des Stromnetzes einher. Strom wird in der Regel vom Übertragungsnetz über mehrere Spannungsebenen zu den Verbrauchsstandorten transportiert. Die Kund:innen müssen die Kosten für alle Spannungsebenen tragen. Wird Strom lokal erzeugt und verbraucht, werden verstärkt die unteren Spannungsebenen genutzt. Das vorgelagerte Netz wird entlastet. Das im BEST-Projekt entwickelte Marktdesign berücksichtigt neben dem Stromangebot auch die Kapazitäten des Stromnetzes. Netzengpässe werden dadurch mithilfe von monetären Anreizen reduziert oder ganz vermieden.
„Regionale Strommärkte werden unter anderem finanziell attraktiv, wenn Netzentgelte sich durch den regionalen und netzdienlichen Handel reduzieren lassen. Das kann helfen, Engpässe zu vermeiden, als zusätzlicher Anreiz zum zielgerichteten Bau von EE-Anlagen dienen und die Energiewende beschleunigen. Die Bundesnetzagentur hat mit der Novelle des §14a EnWG wichtige Entwicklungen im Bereich preislicher Anreize für netzdienliches Verhalten angestoßen. Wir werden in Zukunft noch mehr Dynamik und eine verursachungsgerechtere Kostenverteilung benötigen,“ sagt Reisch.
Konsortium entwickelt technische Lösung für lokalen Strommarkt
An dem bis zum 30. September 2024 andauernden Praxistest sind verschiedene Akteure aus dem Versorgungsgebiet von e-regio im Kreis Euskirchen beteiligt. Das RLI arbeitet im Projekt BEST gemeinsam mit Expert:innen des Fraunhofer-Instituts für offene Kommunikationssysteme (FOKUS), des Digitalunternehmens OLI Systems, des Forschungsinstituts fortiss, der Hochschule Weserbergland, des Energiedienstleisters e-regio und der Energieforen Leipzig für Wissenstransfer in der Energiewirtschaft.
Das Projekt läuft zwischen Januar 2021 und September 2024. Es wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert.
Mehr Informationen zum Projekt gibt es hier.